Wieder einmal Zeit für eine Publikumsbeobachtung. 9 Uhr, Flughafen Bremen. Ich bin bereits seit sieben Stunden unterwegs und habe noch weitere zweieinhalb Stunden Wartezeit vor mir, bis mein Flug Richtung Memmingen geht. Der Rummel des früh morgendlichen Betriebes hat sich mittlerweile etwas beruhigt und nur noch vereinzelt ziehen Koffer schleppende Individuen durch die Halle. Mir direkt gegenüber sitzt eine vierköpfige Familie und alle vier verschwinden hinter Zeitungen. Wenige Meter weiter bucht ein Paar eine last-minute Reise.Auf einmal öffnen sich die Schiebetüren des Haupteingang und ein ganzer Reisebus älterer Leute schiebt sich herein. Mindestens 30 ergraute Damen und Herren sammeln sich mit kleinen Trippelschritten in der Mitte der Eingangshalle und sehen sich um, als ob sie gerade aus einer fliegenden Untertasse gestiegen seien. Ich bin so fasziniert von der Truppe, dass ich mich nach einem Moment dabei ertappe, in eine Art starrende Trance gefallen zu sein. Das Meer aus weißen Hochwasserhosen, Flamingo-farbenen Kastenblusen und pastelligen Steppwesten hat mich in seinen Bann geschlagen ohne dass ich mich davon losreißen kann. Eine junge Inderin joggt vorbei, ihren Trolley im Schlepptau.Nachdem ich mich von meiner ersten Rentner-Faszination erholt habe, nehme ich die Gruppe genauer in Augenschein. Schmunzelnd stelle ich fest, was mir fast schon klar war: alle Damen tragen diesen gewissen Typ Schuh: in der Farbe zwischen gold, weiß und einem etwas gräulichen Hautton, ausnahmslos viel zu klein und am vorderen Ende quellen die Zehen unangenehm hervor. Dazu jeweils passend ockerfarbene Feinstrumpf-Söckchen. Außerdem scheint das Motto „Längsstreifen machen schlank“ die Runde gemacht zu haben. Die wenigen Herren in der Runde haben sich vornehmlich für sportliche Sandaletten mit weißen Socken oder den nun auch immer häufiger gern getragenen Gesundheitsschuh mit Abrollhilfe entschieden. Hier ist das obligatorisch schlecht sitzende Sport-Cappie ein must-have Accessoires. Ein Hochgenuss für die jugendlichen Sinne! Alle, ohne Ausnahme sind knackig braun gebrannt und tragen zahllose Ringe, Ketten und sonstigen Schmuck – Hauptsache viel und glänzend.Begleitet wird die Gruppe von einem Mann mit Vollbart, rundgebügelter Jeans und unglaublich wichtigem Gesichtsausdruck. Er trägt das Kassenmodel von Fielmann auf der Nase und dirigiert die Damen und Herren durch die Halle bis hin zu einem Model des Bremener Flughafens, das man anhand eines Bedienmoduls in verschiedene Farben tauchen kann. Rund um dieses Modul sammelt das Kassenmodel nun das Heer aus weißen Hosen und Abrollhilfe-Schuhen, die drei Damen mit Rollatoren werden ganz nach vorne geschoben. Der Leiter der Truppe erklärt nun lauthals, wer hier was zu tun hat und das er schon im Gründungsjahr im Jahre 1921 ganz vorne mit dabei war. Für seine knapp 90 Jahre hat er sich ziemlich gut gehalten denke ich mir und frage mich, ob er eine ähnliche Konservierungsmöglichkeit gefunden hat, wie Harrison Ford im Krieg der Sterne aus den 70er Jahren. Flüssiges Kryptomid, wenn ich mich recht erinnere.Was ihm allerdings positiv anzurechnen ist: seine angenehme Stimme mit dem typischem Ruhrpott Akzent, der ihn mir irgendwie sympathisch macht. Um die Stimmung etwas aufzulockern fragt Harrison, wer denn schon einmal auf dem Flughafen war und schon mal ein Flugzeug von innen gesehen hat. Alle krähen durcheinander, melden, dass sie schon mal hier und da gewesen sind und mindestens schon 10mal auf Mallorca waren. Daher also auch die Hähnchen-Bräune – mir wird einiges klar. Seit einer ganzen Weile schon fällt eine ganz in weiß gekleidete Dame unangenehm auf. Sie trägt einen türkisfarbenen Schal und scheint der Gruppenclown zu sein. Ohne Unterlass schmeißt sie Kommentare und Bemerkungen in die Runde und reihenweise klatschen sich die Flamingo-Damen und Sport-Cappy-Männer auf die Oberschenkel vor lachen. Immer für einen Scherz zu haben denke ich mir, da musst Du doch mal zuhören, vielleicht kannst Du noch was lernen. Ich muss auch nur einen kurz Moment warten und der türkisene Schal habt sich unter einem kräftigen Luftholer und die Dame tut ihre Meinung kunt – sie weiß eben einfach Bescheid. Noch bevor ich die Pointe des kurzen Vortrages erhaschen kann, brechen die Leutchen reihenweise vor lachen zusammen. Etwas peinlich berührt schaue ich mich um, aber niemand sonst scheint der Gruppe größere Beachtung zu schenken. Ein kleines Mädchen mit feuerroten Sandalen rennt vorbei, ihr auf dem Fuße wahrscheinlich der Papa und fängt die Ausreißerin wieder ein – sie quitscht vergnügt, als er sie durch die Luft wirbelt und auf seinen Schultern absetzt. Dann werde ich wieder von dem Gruppenleiter in Bann gezogen oder besser gesagt, von dessen Hiwi. Ein langer Mann mit Bauchtasche, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte und augenscheinlich auf seinen Einsatz gewartet hat. Er erläutert die Oberflächenbeschaffenheit der Rollbahn und leiert fachmännisch ein paar Zahlen herunter. Ein Raunen geht durch die Zuhörenden und selbst der Gruppenclown weiß keinen schlauen Kommentar einzuwerfen. Was folgt ist eine Litanei an Zahlen und Materiallisten, die den Flughafen so einzigartig machen. Er rechnet vor, wie oft man die Startbahn aneinanderhängen müsste um den A360 landen lassen zu können. Ein Theorem, dass die Umstehenden in eine koma-artige Trance versetzt.Nach und nach lässt augenscheinlich das Interesse nach und die ersten fünf Damen setzten sich hin. Sitzend tasten sie ihre Hinterköpfe ab und checken, ob die toupierte Föhnfrisur noch sitzt. Die Temperaturen in der kleinen Halle steigen dem Siedepunkt entgegen und entsprechend abgekämpft schreiten zwei Männer in Pilotenuniform vorbei und ziehen ihre Trolleys hinter sich her. Ein Flughafenangestellter watschelt um die Gruppe herum, als ich das nächste Mal aufschaue. Er ist dick, schwitzt wie ein Schwein vorm Schlachten und macht auch sonst keinen sonderlich anziehenden Eindruck. Das goldene Armkettchen klebt regelrecht am Handgelenk und der Gürtel schneidet den Bauch unangenehm ab. Am Gürtel ansich, baumelt jedoch jede Menge Tand, der zum Überleben von exorbitanter Bedeutung zu sein scheint. Nervös zupft er sich am Ohrring und fährt sich durch die nach hinten gegelten Haare, während er unablässig ein Taschentuch knetet und hin und her schaukelt. Zwei Sitzplätze von mir entfernt hat sich ein Pärchen aus der Rentner-Gruppe niedergelassen und mein Aufmerksamkeitspunkt verlagert sich. Es handelt sich um ein ganz besonderes Exemplar einer ganz besonders mondäne Dame. Ich fühle mich wie Ali Baba, nachdem sich der Sesam geöffnet hat und werde vom vielen Goldschmuck und Brüll-ianten geradezu geblendet, wahrscheinlich der Grund dafür, dass sie eine Sonnenbrille trägt. Ihr Rock glänzt im wahrsten Sinne des Wortes im Schlangenprint und die gemachten Fingernägel haben gefährliche Ähnlichkeit mit Macheten, die ausschließlich im Regenwald zum Einsatz kommen. Der Herr neben ihr, versucht vergeblich, ihr ein Gespräch aufs Auge zu drücken, da sie jeglichen Gesprächsfetzen mit einem eintönigen 'hm' quittiert. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass ich mich langsam in Richtung Sicherheitscheck begeben könnte und somit überlasse ich Harrison Ford die Bühne.